LMU München

Numerisches Biomechanik Labor

Kieferorthopädie



Mini-Implantate

Sogenannte Minischrauben – auch als Mini-Implantate oder Microscrews bezeichnet – dienen in der Kieferorthopädie der skelettalen Ableitung nicht benötigter “Nebenkräfte”. Durch Minischrauben können unerwünschte Nebenwirkungen (z.B. Zahnkippungen oder -wanderungen) der benachbarten Zähne verhindert werden.

Ein wichtiges Foschungsfeld ist dabei die Berechnung und Visualisiering von knöchernen Spannungen und Dehnungen im Umfeld der eingesetzten Minischrauben. Besonders bei Minischrauben im Gaumenbereich (nach Wehrbein et. al.), die seit Jahrzehnten erfolgreich zur skelettalen Verankerung im Bereich des harten Gaumens eingesetzt werden, ist die Verteilung der induzierten Spannungen besonders im Bereich der empfindlichen Gaumennaht bedeutsam, da diese knöchernen Belastungen einen direkten Einfluss auf Primärstabilität und langfristige Prognose der Implantate haben (siehe Abb.1: Minischrauben im Gaumenbereich).

Abb.1: Minischrauben im Gaumenbereich: Visualisierung der induzierte Spannungen (in MPa) im Bereich der Minischrauben und im Bereich der Gaumennahtsutur während der Kieferorthopädie-Behandlung.

Mini-Implantate zum Lückenschluss

Im Gegensatz zu orthodontischen Gaumenimplantaten findet bei den üblicherweise verwendeten Minischrauben in der Regel keine Osseointegration statt. Die Minischrauben werden meist bukkal im Bereich der attatched Gingiva in den Alveolarfortsatz eingeschraubt, wobei die dabei erzielte Primärstabilität der Minischraube entscheidend für ihre Langzeitprognose ist. Da am Minischrauben-Körper orthodontische Kräfte angreifen, die senkrecht zur Schraubenachse verlaufen, sind die dadurch im periimplantären Knochen induzierten Spannungen und Dehnungen Gegenstand der aktuellen Forschung (siehe Abb.2).

Abb.2: CAD-Modell des Alveolarfortsatzes mit inserierter Minischraube bukkal in regio 46. Die zur Mesialisierung des Zahnes 47 benötigte Kraft wird durch eine superelastische Feder generiert, welche von einem Powerarm am Zahn 47 zum Minischraube führt.

Mini-Implantate zur Zahnbewegung

Gegenstand unserer aktuellen Forschungsprojekte ist der biomechanische Vergleich unterschiedlicher Behandlungsmechaniken, die alle zur Lösung einer identischen kieferorthopädischen Behandlungsaufgabe eingesetzt werden. Als Beispiel zeigt die Abbildung 3 vier verschiedenen Möglichkeiten, die Lücke zwischen dem Zahn 45 und dem Zahn 47 zu schließen. Neben dem reziproken Lückenschluss in A, kann dieser – je nach Verankerungssituation – auch mit Hilfe von Minischrauben erfolgen. Hierzu kann der Angriff des Kraftvektors entweder direkt an diesem (B) erfolgen oder aber die Minischrauben werden zur Stützung des einen (C) oder mehrerer Ankerzähne (D) herangezogen. Im zweiten Fall spricht man dann von einer indirekten Verankerung.

Abb.3: Vier FEM-Modelle, welche die Lösung einer identischen Behandlungsaufgabe (Mesialisierung des Zahnes 47) durch vier unterschiedliche Mechaniken zeigt. Während in A auf den Einsatz von Minischrauben verzichtet wird, zeigen B,C und D unterschiedliche Möglichkeiten der Verwendung von Minischrauben im Rahmen der Mesialisierung.

Biomechanik der Mini-Implantate (FEM)

Die bei den unterschiedlichen Mechaniken induzierten Spannungen und Dehnungen im Knochen können mit Hilfe der Finite Elemente Methode (FEM) falschfarbencodiert visualisiert werden (siehe Abb.4). Besonders interessant erscheinen in diesem Zusammenhang die induzierten Spannungen im distalen Bereich der Alveole des Zahnes 45, da dieser Ankerzahn bei der Mesialisierung des Zahnes 47 besonders von den reziproken Kräften betroffen ist, v.a. wenn keine Minischrauben zum Einsatz kommen. Wie die Abbildung 4 zeigt, hängt die alveoläre Belastung in diesem Bereich von der eingesetzten Mechanik-Methode ab.

Abb.4: Falschfarbencodierte Visualisierung der induzierten Dehnungen im Bereich der knöchernen Alveole des Ankerzahnes 45. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die indirekte Verankerung mit Hilfe von Minischrauben eine Belastung des periimplantären Knochens nicht vollständig verhindern kann.

Spannungsanalyse von Mini-Implantaten

Ein wichtiger Vorteil der Finite Elemente Methode (FEM) liegt in der beliebigen Wahlmöglichkeit des Messortes. Wie die falschfarbencodierte Abbildung 5 zeigt, ist das Ausmaß der induzierten Dehnungen und Spannungen abhängig von der Knochenqualität. Daher sind die im Bereich des spöngiösen Knochens induzierten Dehnungen deutlich größer als im Bereich der Kompakta. Die tatsächliche Belastung hängt daher auch von den patientenindividuellen Faktoren (z.B. Alter, Knochenqualität, etc.) ab. Diese individuellen Faktoren können durch geeignete Wahl der Materialeigenschaften simplifiziert und idealisiert in den Simulationen mit berücksichtigt werden. Abb.5: Längsschnitt durch das Simulationsmodell im Bereich der Alveolen 45 und 44. Die entsprechenden Zähne sind aus Gründen der Verdeutlichung ausgeblendet. Die Messungen und Berechnungen zeigen deutlich die Diskrepanz der Messwerte zwischen spongiösem und kompaktem Knochen.

Abb.5: Längsschnitt durch das Simulationsmodell im Bereich der Alveolen 45 und 44. Die entsprechenden Zähne sind aus Gründen der Verdeutlichung ausgeblendet. Die Messungen und Berechnungen zeigen deutlich die Diskrepanz der Messwerte zwischen spongiösem und kompaktem Knochen. Die Bohrungen für die Minischrauben sind in den Bildern links zu erkennen.